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letzte Änderung 03.03.2009
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6. Umma (Gemeinschaft)

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6. Umma (Gemeinschaft)

 

6,1 Allgemein

 

 

Sachgemäß ist es zu sagen:

 

 

l Nach dem Koran steht der Begriff Umma als Korrelat zu milla (Lehre). Somit ist Umma eine Gemeinschaft, die einer bestimmten Lehre verpflichtet ist. Es ist also zulässig, von einer jüdischen Umma, einer christlichen Umma, einer islamischen Umma oder einer abrahamitischen Umma (einer Gemeinschaft der Anhänger einer monotheistischen Lehre) zu sprechen.

 

l Die Umma von Medina, die – wie bereits ausgeführt – durch das Abkommen von Medina 622 n. Chr. ins Leben gerufen wurde, umfasste sowohl die Muslime, wie auch die dort lebenden Juden, die nach diesem Vertrag ebenso als „Umma“ bezeichnet wurden. Der Vertrag von Medina war auch durch die gleichberechtigte Akzeptanz der jüdischen und islamischen Religion gekennzeichnet.

 

l Das wichtigste konstituierende Moment war der Glaube an einen einzigen Gott (tauḥīd).

 

l Jedes Mitglied dieser Gemeinschaft war zu ihrem Schutz verpflichtet und hatte die volle Verantwortung für die Gesamtheit der Umma. Nach freiem Willen der Gemeindemitglieder wurde die organisierende Gesamtverantwortung Muhammad übertragen, ohne dass dadurch die persönliche Verantwortung des einzelnen aufgehoben wurde.

 

l Praktische Schwierigkeiten bei der Umsetzung dieses Idealmodells führten im Laufe der Zeit zu Umstrukturierungen, die auch die Christen in die Umma einbanden. Die Grundlage des Zusammenlebens blieb zwar weiterhin der Eingottglaube; das öffentliche Leben wurde aber von islamischen Prinzipien bestimmt; in der islamischen Wirtschaft, in gesellschaftlichen und rechtlichen Normen. Ausgenommen waren die privatrechtlichen und religiösen Bereiche.

 

l Die Orientierung an der Grundnorm der Gottausgerichtetheit des ganzen Lebens bedeutete, dass nicht nur rituelle Handlungen, sondern das gesamte private und öffentliche Leben – auch die Gemeindeführung – als eine Form gottbezogener, gottesdienstlicher Handlung verstanden wurde. In dieser Grundnorm war kein Raum für die Unterscheidung in einen sakralen und profanen Bereich des Lebens.

 

l Die Führung der Gemeinde und die Gesellschaft ist nicht zu verstehen als Aufspaltung in Herrscher und Beherrschte, sondern im Sinne der gemeinsamen Verantwortung aller Umma-Mitglieder.

 

l Die zunehmende Islamisierung der Umma und der Gemeindeführung führte in der Folgezeit dazu, dass Juden und Christen von der Verantwortung für die Gemeinde und deren Schutz befreit wurden. Sie standen aber als „Schutzbefohlene“ weiterhin unter dem Schutz der islamischen Gemeindeführung. Analog zur Pflichtabgabe (zakāt) der Muslime waren sie zu einer Schutzabgabe (ǧizya) verpflichtet.

 

l Eine so konstituierte Gemeinschaft wurde seit ihrer ersten Entstehung 622 n. Chr. in Medina (622 - 632) von Elementen getragen und mit Phänomenen verbunden, die Anlass zu Fragen, Einwänden und auch sehr viele Vorurteilen gegeben haben. Vergleichbare Einwände haben in der Geschichte auch andere auf religiöse Prinzipien gegründete Gemeinschaft hervorgerufen – z. B. Quäker-Siedlungen usw.

 

l Die Fragen, Einwände und Vorurteile gegenüber der islamischen Umma berühren vor allem die inneren Bereiche des islamischen Rechts (Scharia), der Führung der Gemeinschaft bzw. dasVerhältnis zwischen Religion und Staat, den Status der Minderheiten und die Stellung der Frau. Was die Beziehung zu nichtislamischen Gemeinschaften betrifft, so berühren die Widersprüche und Fragen vor allem die Bereiche der Ausbreitung des Islams, Dschihad, Missionierung und Diaspora. (Siehe dazu im einzelnen die nachfolgenden Kapitel.)

 

 

Unsachgemäß ist:

 

 

l die islamische Gemeinschaft als eine Fortsetzung der tribalistischen Lebensweise ohne eigene Originalität zu charakterisieren, die mit jüdischen und christlichen Elementen verflochten sei;

 

l die spezifisch islamischen Besonderheiten nach den eigenen christlichen Normen zu interpretieren, die schematisch auf den Islam übertragen werden.

 

Zu weiteren Einzelaspekten siehe die nachfolgenden Kapitel.

 

 

 

6.2 Der islamische Staat

 

 

Sachgemäß ist es zu sagen:

 

 

l Die Umma ist im Sinne der Gottorientiertheit aufgebaut. Ihre Funktion liegt hauptsächlich darin, einen Rahmen zu schaffen, in dem jeder einzelne „islamisch“, also „auf Gott ausgerichtet“ leben kann. Dazu gehört auch, das Leben und den Besitz der Umma-Mitglieder zu schützen.

 

l Alle Mitglieder der Umma sind für die Verwirklichung der islamischen Ordnung gleichermaßen verantwortlich. Die Gemeinschaft soll von allen getragen werden. In diesem Sinne ist auch die Erhaltung der Ordnung eine religiöse Aufgabe.

 

l Nur in diesem Sinne kann von einer Einheit von Religion und Staat gesprochen werden; nicht gemeint ist damit die Machtübernahme eines bestimmten Personenkreises. Parallelen aus der abendländischen Geschichte (Kirchenstaat, Fürstbistümer) sind irreführend.

 

l Organisatorisch wurde nach dem Vorbild der Gemeindebildung von Medina die Hauptverantwortung für die Gemeinschaftsordnung an bestimmte Personen (Kalifen) delegiert, die auch in ihrer persönlichen Lebensführung Vorbild sein mussten. Diese Teilung der Verantwortung sollte nicht zu einer Spaltung in Herrscher und Beherrschte führen. Deshalb blieb die Gesamtverantwortung weiter in den Händen aller Mitglieder der Umma.

 

 

Unsachgemäß ist:

 

 

l die Einheit von Religion und Staat im Islam als eine Machtkonzentration bei den Funktionsträgern, nicht jedoch als eine Einheit der Funktion zu verstehen;

 

l den Staatsbegriff einer säkularen Gesellschaftsform, die die gegebene Gesellschaftsordnung als rein weltliche Angelegenheit ohne religiösen Legitimationsbedarf betrachtet und Religion als Privatangelegenheit ihrer Mitglieder, zum Maßstab zu nehmen. Damit wird die islamische Sichtweise verkannt, alle Handlungen für die Gemeinschaft als Ausdruck deer religiösen Verantwortung jedes einzelnen Mitglieds anzusehen;

 

l die islamische Umma, für die die gemeinsame Verantwortung aller Mitglieder maßgebend ist, mit einer aus der abendländisch-christlichen Tradition abgeleiteten Theokratie gleichzusetzen. Der Islam kennt nämlich kein besonderes Priestertum u. ä.; alle Gläubigen sind gleichrangig.

 

 

 

 

6.3 Scharia (šarīͨa)

 

 

6.3.1 Begriffserläuterung

 

 

Sachgemäß ist es zu sagen:

 

 

l Scharia (wörtlich: Weg) meint den Weg zur Verwirklichung der Einheit von Glaube und Handeln, der ausführlich in der islamischen Glaubens- und Pflichtenlehre dargestellt wird.

 

l Häufig wird unter diesem Begriff die Gesamtheit der Vorschriften, welche die Handlungen des Menschen im privaten und öffentlichen Leben betreffen, verstanden. Die Gleichsetzung Scharia = „Islamisches Recht/Gesetz“ kann Anlass zu Missdeutungen geben, wenn die Begriffe „Recht“ und „Gesetz“ im säkulären Sinne verstanden werden.

 

l Im islamischen Verständnis sind die Vorschriften für die Gläubigen nicht Selbstzweck, sondern ein Stück Glaubenspraxis, also Hilfen zur Verwirklichung der Gottausgerichtetheit. Scharia ist der alle Lebensbereiche umfassende Weg der Praktizierung des Glaubens, wie anderseits der Glaube als prägende Geist und Inhalt der Scharia gilt.

 

l In diesem Sinne regelt die Scharia alle Lebensbereiche:

Rituelle Handlungen, die unter dem Begriff der „Fünf Säulen“ als Handlungen des Herzen zusammengefasst sind; Familien-, Erb-, Handels- (Wirtschafts-), Zivil- und Strafrecht sowie Regeln der Wiedergutmachung von Schäden, der Rechtsprechung usw. (insgesamt mehr als 50 verschiedene Sachgebiete).

 

l Der Koran und die Hadithe (Überlieferungen von Sunna/authentischen Anweisungen und Handlungen des Propheten Muhammad) liefern die Grundsätze für dieses im Laufe der Zeit entstandene, vielfältige und umfangreiche Rechtssystem. Es ist die Leistung islamischer Rechtsgelehrter gewesen, die (vorwiegend zwischen 700 – 900 n. Chr.), daraus allgemeingültige Rechtsprinzipien entwickelt haben.

 

l Die Ausarbeitung des Rechtssystems führte zur Herausbildung verschiedener Rechtsschulen im Islam. Ihre Entstehung und Entwicklung verdanken sie einer immanenten Dynamik, aus:

- tiefer Kenntnis über die gesellschaftlichen, politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Verhältnisse der jeweiligen Zeit und Umgebung

- der Aufgeschlossenheit gegenüber den daraus entstandenen Problemen,

- der Fähigkeit, wissenschaftliche Grundsätze zu postulieren, die es ermöglichten, aus den Primärquellen – Koran und Sunna – immer wieder neue Lösungsmöglichkeiten zu erschließen,

jeweils Antworten auf neue Zeitfragen zu finden.

 

l Die heute noch von der Anhängerschaft her bedeutendsten Rechtsschulen sind:

    1. die hanifitische Schule (benannt nach Abu Hanifa, 699 – 767)

    2. die malikitische Schule (nach Malik ibn Anas, 715 – 795)

    3. die schafiitische Schule (nach as-Schafii, 767 – 820)

    4. die hanbalitische Schule (nach Ahmad ibn Hanbal, 780 – 855)

    5. die imamitische Schule, die bedeutendste Rechtsschule der Schia, deren Hauptautorität

        der Urenkel Muhammads, Imam Dschafar as-Schadiq (gest. 765) gewesen ist. Nach ihm

        wird diese Schule auch dschafaritisch genannt.

 

l In der islamischen Welt ist ein Prozess zu beobachten, der, basierend auf der wissenschaftlichen Tradition der Rechtsgelehrten, die Krise der letzten 200 Jahre zu überwinden bestrebt ist; in vielen gesellschaftlichen und privaten Bereichen konnten bereits Erfolge bei der Entwicklung neuer Rechtsnormen erzielt werden, vor allem in Hinblick auf die Stellung der Frau und die Wahrung der Rechte der Menschen.

 

 

Unsachgemäß ist:

 

 

l bei der Beurteilung der Scharia von einem engen Verständnis der Begriffes auszugehen und die Scharia gleichzusetzen mit „islamischem Gesetzbuch“, und dies wiederum ausschließlich auf das Strafrecht zu reduzieren; die Scharia als negativ, mittelalterlich hinzustellen und sogar die Abschaffung zu fordern;

 

l die Vielfalt der Scharia nicht zur Kenntnis zu nehmen sowie die Differenziertheit und auch den großen Spielraum, die die Scharia dem Menschen zuspricht, um sein eigenes Leben frei und zeitgemäß zu gestalten, unbeachtet zu lassen;

 

l das ständige Bemühen der islamischen Gelehrten zu ignorieren, welche die innere Kraft des islamischen Rechtsdenken mobilisieren, um dem gesellschaftlichen Wandel in der islamischen Welt nach islamischen Grundsätzen gerecht zu werden oder sogar die einseitige Adaption westlicher Rechtsnormen zu fordern. Dies gilt insbesondere in den Bereichen Familienrecht, Strafrecht, Wirtschaftsrecht und öffentliches Recht.

 

 

 

 

6.3.2 Scharia – die fünf Säulen (arkān)

 

 

Sachgemäß ist es zu sagen:

 

 

l Alle Handlungen des Menschen sollen vom Geist der ͨ ibāda (= des Gottesdienstes) geprägt sein und in diesem Sinne vollzogen werden.

 

l De facto ist aber in der islamischen Rechtslehre ͨ ibāda zum Begriff für rituelle Handlungen geworden. Die im folgenden näher erläuterten haben besondere Bedeutung, weil sie das alltägliche Verhältnis des Menschen als Individuum und Mitglied der Gemeinschaft zu Gott bestimmen.

 

l Die Sechs Glaubensartikel garantieren die Einheit des Glaubens aller Muslime. Sie sind gleichzeitig die Grundlage eines islamischen Lebens:

 

I.    der Glaube an den Einen Gott

II.   der Glaube an Gottes Gesandten und Mohammad als den letzten Gesandten

III.  der Glaube an die von Gott geoffenbarten Bücher und den Koran;

IV.  der Glaube an Gottes Engel;

V.   der Glaube an das Leben nach dem Tode;

VI.  der Glaube an die göttliche Vorsehung

 

l Die Fünf Säulen sind:

I.    Die šahāda (= Glaubensbekenntnis; entspricht den ersten beiden Glaubensartikel);

II.   Das fünfmal täglich zu verrichtende rituelle Pflichtgebet (ṣalāt), dem die obligatorische

       rituelle Reinigung (wuḍū'), die einen Weihezustand eröffnet, vorausgeht;

III.  die Pflichtabgabe (zakāt);

IV.  das Fasten (ṣaum) im Monat Ramadan;

V.   die Wallfahrt nach Mekka (ḫaǧǧHadsch).

 

l Allen arkān gemeinsam ist eine horizontal-gesellschaftliche, die Umma zusammenbindende Dimension. Gleichzeitig haben die Fünf Säulen eine vertikal-göttliche Dimension. Somit steht die Umma auch in einer direkten Beziehung zu Gott, was erklärt, warum die „Rechte der Umma“ auch „Rechte Gottes“ genannt werden.

 

l Damit die rituellen Handlungen nicht zu einem formalen Akt degradiert werden, obliegt es jedem Muslim, vor Beginn jeder dieser Handlungen seine Gesinnung und Absicht (niyya) leise oder im Herzen zum Ausdruck zu bringen, dass diese bestimmte Handlung, z. B. die Abgabe einer Zakat-Summe, nur geschieht, um Gott näher zu kommen (qurbatan ilā Allah). Diese niyya ist Ausdruck der innerlichen Dimension der Handlung.

 

 

Unsachgemäß ist:

 

l die Unterstellung, dass es sich bei den Fünf Säulen um rein äußerliche, mechanisch auszuführende Vorschriften handelt, deren korrekt auszuführender, normierter Ablauf und nicht eine auf Gott ausgerichtete Gesinnung entscheidend ist;

 

l die rituellen Handlungen als Zeichen blinder Unterwerfung unter Gott zu interpretieren;

 

l die fünf Säulen als Ausdruck einer „gesetzlichen“ , am Leistung-Lohn-Denken orientierte Religiosität zu bewerten („Werkgerechtigkeit“). Die arkān machen aus dem Islam keine „Gesetzesreligion“, sondern gelten als Ausdruck göttlicher raḥma/Barmherzigkeit, welche die Rechtleitung des Menschen fördert und der der sich der Mensch freiwillig anheim stellt;

 

l den Islam als eine „Religion der Öffentlichkeit, nicht der Innerlichkeit“ (J. van Ess) zu disqualifizieren. Zwar wird durch die Betonung der Verantwortung der Muslime für Umma der öffentliche Aspekt stark herausgestellt. Aber auch diese Öffentlichkeit ist ihrerseits wiederum als religiöse Gemeinschaft immanent mit Gott verbunden. Den islamischen religiösen Handlungen jedwede „Innerlichkeit“ als Ausdruck einer gefühlsmäßigen Bindung an Gott abzusprechen, verkennt das Wesen des Islam gänzlich.

 

 

 

 

6.3.3 Scharia – Strafrecht

 

 

Sachgemäß ist zu sagen:

 

 

l Über die Verpflichtung, das Leben zu schützen, sagt der Koran:

 

                Wenn jemand einen Menschen tötet, ohne dass dieser einen Mord begangen hätte oder ohne dass ein

               Unheil auf der Erde geschehen wäre, so soll es so sein, als hätte er die ganze Menschheit getötet; und 

               wenn jemand einem Menschen das Leben erhält, so soll es so sein, als hätte er der ganzen Menschheit

               das leben erhalten. (Sure 5,32)

 

Diese in völligem Gegensatz zu früharabischen Geringschätzung des Lebens stehende Verpflichtung zum Schutz jedes Lebens schließt auch die ein, die vor Gericht stehen.

 

l Zur Erhaltung der islamischen Ordnung und nicht aus Rachegelüsten und Vergeltungssucht legt der Koran auch Strafen fest. Allerdings umfasst das Strafrecht in der Scharia nur ca. 3 Prozent aller Rechtsnormen. Manche von ihnen werden heute oft als zu hart und unmenschlich angesehen. Es ist aber dabei zu berücksichtigen, dass ihre Verhängung entweder an fast unrealisierbare Bedingungen des Tatnachweises geknüpft ist – so muß beispielsweise der Geschlechtsverkehr beim Ehebruch durch vier (!) Zeugen mit eigenen Augen (!) beobachtet worden sein – oder mit der eindringlichen Aufforderung verbunden ist, auf die Anwendung der Strafe zu verzichten. Denn auch Gott verzeiht dem Schuldigen und vergibt dem Leidtragenden dessen Schuld, wenn dieser ebenfalls großmutig (beispielsweise bei einem Mordfall) ist. Außerdem ist von der Anwendung der Strafe abzusehen, wenn der Täter Reue zeigt.

 

lHeute gibt es in der gesamten islamischen Welt, besonders aber unter den ägyptischen Gelehrten, die Tendenz, die Formulierungen zeitgemäß zu deuten und die Anwendung harter Strafmaßnahmen zu unterbinden; auch in den Ländern, die sie in letzter Zeit aus politischen Gründen, weniger aus islamischer Überzeugung heraus, praktiziert haben.

 

 

Unsachgemäß ist:

 

 

l die „innere Logik“, den Begründungszusammenhang des islamischen Rechts bei der Beurteilung spektakulärer Einzelphänomene unberücksichtigt zu lassen;

 

l bei der Beurteilung des islamischen Strafrecht mit seinen Strafen (Hände abhacken, Auspeitschen u. ä.) ähnliche Strafen für Kapitalverbrechen in anderen religiösen Traditionen ebenso zu verschweigen wie auch die Anwendung der Todesstrafe, beispielsweise in den USA und der Prügelstrafe im britischen Strafrecht;

 

l zu ignorieren, dass der Koran bestrebt ist, die Anwendung harter Strafen weitgehend zu unterbinden durch das Gebot zur Verzeihung oder durch nahezu unerfüllbare Bedingungen für den Nachweis der Straftat.

 

 

 

 

6.4 Die Stellung der Frau

 

Sachgemäß ist es zu sagen:

 

l Die Frage nach der Stellung der Frau ist eine familie- und gesellschaftsbezogene Frage. Sie impliziert gleichzeitig die Frage nach der Stellung des Mannes und danach, welchen Stellenwert und welche Rechte und Pflichten beide Geschlechter in der Gesellschaft und miteinander haben.

 

l Die westliche Vorstellung vom islamischen Frauenbild ist bestimmt von einer islamischen Frauenfeindlichkeit. Diese negative Vorstellung im Westen wird genährt durch die weit verbreitete Realität in islamischen Gesellschaften und die gängige Rechtspraxis: Phänomene wie Vorrang des Mannes in der Familie, Polygamie, einseitiges Scheidungsrecht, Ausschluss der Frau aus dem gesellschaftlichen Leben, das alleinige Fürsorgerecht des Mannes für die Kinder nach der Scheidung, sowie die falsche Übersetzung des Koranverses 4.34, dass "Männer über den Frauen stehen".

 

l Bereits seit dem 19. Jahrhundert werden in den islamischen Ländern, auch unter dem Einfluss der Frauenbewegung im Westen, kontroverse Diskussionen über diese Phänomene geführt. Diese haben zu einem größeren Verständnis darüber geführt,  was von den oben genannten Phänomenen kulturabhängig und was originär islamisch ist. Viele Erfolge zugunsten der Frau bzw. zur Unterbindung der Willkür des Mannes konnten bereits erzielt werden.

 

l Die eigentliche Basis für die Verbesserung der Stellung der Frau liefert dabei der Koran, vorausgesetzt, dass traditionelle Interpretationen infrage gestellt werden und der Koran selbst nach seinem Konzept dafür befragt wird.

 

l Hauptanliegen des Korans ist es, in einer Zeit, in der nicht nur auf der arabischen Halbinsel, sondern in nahezu allen Kulturen die Entrechtung der Frau die vorherrschende gesellschaftliche Tendenz war, der Frau eine gleichwertige Stellung einzuräumen. Bezeichnend dafür ist das koranische Verbot, weibliche Säuglinge zu töten. Der Erfolg ist jedoch dadurch beschränkt geblieben, dass sich die traditionellen, vom Koran bekämpften, Gesellschaftsstrukturen wieder festigen konnten. Auch erreichte Teilerfolge wurden wiederholt - nicht überall - verletzt.

 

l Koranische Ansätze zur Verbesserung der Stellung der Frau sind: Es gibt keinen Wertunterschied zwischen Mann und Frau. Beide wurden in gleicher Weise aus einem Wesen geschaffen:

 

Und es gehört zu seinen Zeichen, dass Er euch Partner aus euch (Menschen) schuf, auf dass ihr Frieden (innere Ruhe / sukūnat) bei ihnen fändet; und Er hat Zuneigung und Barmherzigkeit zwischen euch gesetzt.(Sure 30.21)

 

In diesem Sinne heißt es allgemein in  Sure 4,1:

 

Ihr Menschen! Fürchtet Euren Herrn, der euch aus einem einzigen Wesen geschaffen hat, und der aus ihm einen Partner und aus ihnen beiden viele Männer und Frauen hat (hervorgehen und) sich (über die Erde) ausbreiten lassen.

 

l Auch von einer Verführung Adams durch Eva ist im Koran nicht die Rede. Im Gegenteil: Nach Sure 20,120 flüstert Satan dem Adam ein: „O Adam, soll ich dich auf den Baum der Ewigkeit hinweisen?“

 

l Der Islam bestimmt die Stellung des Individuums stärker aus seiner Einbindung in die Gemeinschaft. Als kleinste Einheit dieser Gemeinschaft kommt der Familie eine besondere Bedeutung zu: nicht im Sinne der Kleinfamilie westlicher Prägung, sondern als Verband der verwandtschaftlich verbundenen Großfamilie/Sippe.

 

l Hieraus leitet sich auch die Aufgabe der beiden Geschlechter ab: Während der Mann die Familie nach außen in der Gesamtgemeinschaft vertritt und er allein (und nicht die Frau, selbst wenn sie vermögend ist) die Verpflichtung zu Fürsorge und Schutz für die ganze Großfamilie hat, kommt der Frau die Aufgabe zu, den Familienverband zu festigen und zu stärken. Hieraus leitet sich auch die besondere Treuepflicht der Frau wie des Mannes ab.

 

l In Übereinstimmung damit gilt in der Ehe für beide Partner eine gegenseitige Verpflichtung zum Schutz der Persönlichkeit:

 

Sie (eure Frauen) sind (wie) ein Gewand für euch und ihr seid (wie) ein Gewand für sie. (Sure 2.187)

 

l Die finanzielle und soziale Verpflichtung des Mannes ist im Islam sehr groß. Es ist seine Aufgabe, in jeder Hinsicht für ein standesgemäßes Leben seiner Frau zu sorgen (nach dem Stand, den sie aus ihrem Elternhaus gewöhnt ist - bis hin zur Einstellung von Dienstpersonal); daneben in gleicher Weise für Kinder, Eltern und nahe Verwandte (Geschwister) auch der Frau, falls diese seine Hilfe bedürfen. Die Frau hingegen, die uneingeschränkt und selbständig  über ihr Eigentum verfügen kann, ist nicht verpflichtet, etwas beizusteuern.

 

l Diese Verpflichtung des Mannes fasst Sure 4,34 in Kurzform wie folgt zusammen:

 

Die Männer sind verantwortlich für die Frauen. 

 

Verantwortlich für sämtliche Lebensbelange der Frau (standesgemäßer Lebensunterhalt, Kleidung, Wohnung usw.) Diese Verantwortung wird sodann begründet:

 

Dadurch, dass Gott die einen von ihnen den anderen gegenüber mit Vorzügen ausgestattet hat und dadurch, dass die Männer von ihrem Vermögen für die nafaqa (= Lebensbelange) der Frauen aufkommen.

 

l Wenn im Koran von einem Vorrang des Mannes vor der Frau die Rede ist (wobei beiden gleichermaßen jeweils besondere Vorzüge zugestanden werden - vgl. Sure 4,32), wird dies aus der eben benannten große Verantwortung begründet; der Mann verliert diese Vorrangstellung in dem Moment, wenn er nicht mehr in der Lage ist, seiner sozialen Verantwortung nachzukommen; der Vorrang ist also ausschließlich funktional begründet. Ebenso steht der Frau in ihrem Verantwortungsbereich ein funktionaler Vorrang gegenüber dem Mann zu.

 

l Nach koranischem Verständnis hat der Mann kein Recht, der Frau Befehle zu erteilen, außer in religiösen Angelegenheiten; andererseits hat auch die Frau die Verpflichtung, ihren Mann bei religiösen Verfehlungen zurechtzuweisen:

 

Die gläubigen Männer und Frauen tragen Verantwortung für einander (baͨ ḍuhum anliyā´baͨ ḍ). Sie gebieten das Rechte und verbieten das Verwerfliche. (Sure 9,71) 

 

Außer dem Recht auf sexuelle Beziehungen (dieses Recht gilt für beide) kann der Mann von seiner Frau rechtlich nichts verlangen, auch keinerlei Dienste. Die Frau hingegen darf für jede Dienstleistung, sogar für das Stillen der eigenen Säuglinge, vom Mann Geld fordern. Die prägnante Formulierung eines zeitgenössischen saudischen Gelehrten - „Die Arbeit der Frau zuhause ist eine ṣadaqa (Almosen) an den Ehemann und die Kinder“ (was eine freiwillige Gabe bedeutet) - zeigt, wie wenig Ansprüche der Mann gegenüber seiner Frau geltend machen kann.

 

l Zu einem aus dem Koran abgeleiteten Recht zur Züchtigung der Frau (es handelt sich um den zweiten Teil des oben zitierten Koranverses 4,34) ist zu sagen:  Die Misshandlung von Frauen durch ihre Männer war zur Zeit Muhammads weit verbreitet. Diese Praxis wird von Muhammad entschieden bekämpft. Die Bedeutung seines Verbotes, die Frauen zu schlagen, betonte er oft, insbesondere bei seiner letzten öffentlichen Rede vor seinem Tode, nach seiner letzten Wallfahrt.

 

l Wenn der Ehemann seiner Fürsorge- und Schutzverletzung gegenüber der Familie nicht nachkommt (nušūz = sich auflehnen gegen jemanden), hat die Frau das Recht, öffentlich vor Gericht gegen ihn Klage zu führen. Im Falle der Auflehnung der Ehefrau gegen ihren Mann - gemeint ist nur Untreue oder Veruntreuung seines Vermögens - verlangt der Koran (Sure 4,34) zum Schutz des guten Rufs der Frau in der Öffentlichkeit zunächst eine Beilegung des Streites innerhalb der Familie. Selbst in diesem - aus der Sicht des Koran - das Familienleben zerstörenden Fall soll das Problem zunächst durch „wirksame Gespräche“ (wa z = Predigten) gelöst werden, was sicher in den meisten Fällen Erfolg versprechen dürfte. Sollte dies nich der Fall sein, schlägt der Koran die Anwendung eines weiteren psychologischen Druckmittels vor: Durch Liebesentzug („meidet sie im Ehebett“) soll der Mann seiner Gattin  deutlich zeigen, dass er die Verletzung seiner Rechte (eheliche Treue und sorgsamer Umgang mit seinem Besitz) nicht hinnehmen wird. Bleibt auch dieser Weg  (der einige Zeit in Anspruch nimmt) erfolglos, deutet das auf eine Zerstörung der Familiengefühle bei der Frau hin. Auch in diesem Fall ist eine Misshandlung der Frau verboten. Die letzte Konsequenz dürfte dann die Scheidung sein. Und weil dies aus koranischer Sicht als eine verpönte Handlung gilt, legt der Koran einen letzten Rettungsversuch nahe. Dieser wird durch einen Begriff formuliert, der scheinbar das genannte Misshandlungsverbot auf den Kopf stellt: „Schlagt sie“ (faḍribuhūnna).

 

… Und jene, deren Widerspenstigkeit ihr befürchtet: ermahnt sie, meidet sie im Ehebett und schlagt sie! Wenn sie euch dann gehorchen (auf Untreue und Veruntreuung verzichten), so sucht gegen sie keine Ausrede. (Sure 4,33)

 

l Bereits seit kurz nach dem Tode Muhammads beschäftigte dieser Widerspruch die Muslime. Sie lösten ihn mit der Deutung, dass hier ein nichtschmerzender Schlag (ḍarban ġayra mubariḥin) gemeint sei, der symbolisch die Unzufriedenheit ausdrücken soll. Ibn ͨAbbās, der Vetter des Propheten, der von allen Muslimen als der beste Korankenner akzeptiert wird, demonstrierte diesen Schlag, der in Wirklichkeit nur eine Geste sein darf, folgendermaßen: Er schlug mit seiner kleinen hölzernen Zahnbürste auf den Handrücken. „So ist es gemeint“ - kommentierte er diesen Koranvers. Damit wird deutlich, dass der Koran selbst bei - nach seinem Verständnis sehr ernsten - Verfehlungen der Frau eine Misshandlung ablehnt. Die auch unter Muslimen verbreitete Rechtfertigung von Tätlichkeiten gegenüber der Frau aus dem Koran widerspricht insgesamt der Intention des Koran.

 

 

Unsachgemäß ist:

 

l die z. T. verbreitete Praxis der Unterdrückung der Frau bis hin zur körperlichen Misshandlung aus dem Koran sowie die Gleichsetzung der gesellschaftlichen Verhältnisse in verschiedenen islamischen Ländern aus der Lehre des Islam abzuleiten;

 

l die gesellschaftlichen, geographischen, ethnischen, geschichtlichen und wirtschaftlichen Hintergründe, die das Verhältnis zwischen den Geschlechtern mitprägen, außer Acht zu lassen und Einzelphänomene zu generalisieren. (Die islamische Frau gibt es ebenso wenig wie die christliche, die jüdische usw.)

 

l bestimmte, bei Muslimen häufig zu beobachtende Phänomene wie strikte Geschlechtertrennung, Betonung der weiblichen Ehre, Verbannung der Frau aus dem gesellschaftlichen Leben, monokausal aus dem Islam abzuleiten. Ähnliche Einstellungen finden sich nachweisbar auch in den südlichen, christlich geprägten Agrarregionen der europäischen Mittelmeeranrainerstaaten;

 

l zu negieren, dass viele durch patriarchalische Gesellschaftsstrukturen in den islamischen Ländern bedingte Fehlentwicklungen in Widerspruch zum Koran stehen;

 

l das sich unter dem Begriff der Emanzipation entwickelte individualisierte Frauenbild im westlichen Abendland (auch dort nicht überall) als Maßstab für die Bewertung des Islam zu benutzen und dabei sowohl die eigene - nicht immer rühmliche - christliche Traditionsgeschichte und deren Frauenbild als auch Gesamtrealität zu ignorieren;

 

l bei der Beurteilung der Beziehungen der Geschlechter zueinander die große Verpflichtung des Mannes (besonders im finanziellen Bereich) zugunsten der Frau zu ignorieren;

 

l die Elemente der wirtschaftlichen Selbständigkeit der islamischen Frauen (Alleinverfügungsrecht über ihr Vermögen), über die sie von Anfang an - also weit früher als etwa ihre europäischen Geschlechtsgenossinnen - verfügten, zu übersehen;

 

l Die Behauptung aufzustellen, dass die islamische Frau kein Recht auf Ausbildung und Übernahme von gesellschaftlichen Funktionen hat;

 

l aus der Tatsache, dass die Frau nach islamischem Erbrecht nur Anspruch auf die Hälfte des Erbe hat, was seinen Grund in der alleinigen finanziellen Belastung des Mannes hat, ihre gesellschaftliche Minderwertigkeit zu schlussfolgern;

 

l die seit dem 19. Jhd. im Islam von zahlreichen ReformerInnen in Gang gebrachten Innovationen (besonders bezüglich Polygamie und Scheidungspraxis) zu übersehen;

 

l den Schleierzwang der Frau als koranische Vorschrift zu deuten. Die koranische Kleidervorschrift, welche die Bedeckung von Körper und Kopf empfiehlt zielt auf den Schutz der Frau vor Demütigung und Entehrung, nicht jedoch auf ihre Erniedrigung und Aussonderung aus der Gesellschaft.

 

 

 

6.5 Dschihad – Der „heilige“ Krieg

 

 

Sachgemäß ist zu sagen:

 

 

l Der Begriff Dschihad (Ǧihād, wörtlich: Anstrengung, Abmühen, Einsatz) findet sich bereits in den ersten mekkanischen Offenbarungen, in der noch keine Rede von Kriegen war.

 

                Gehorche nun nicht den Ungläubigen (den Polytheisten), sondern setze dich damit (d.h. mit dem Koran)

              mit großen Einsatz (= großem Ǧihād) auseinander (Sure 25,52)

 

l Der Wortstamm ǧ-h-d verweist in seiner nominalen und verbalen Form auf einen geistigen, gesellschaftlichen Einsatz. Das Wort Ǧihād bezeichnet in erster Linie eine entschlossene geistige Haltung. Ausgehend von dieser Grundbedeutung bezeichnete Dschihad in medinensischer Zeit (vermutlich ab den 2. Jahr der Hidschra) den Einsatz für den Islam schlechthin, mit der Betonung auf den Einsatz von Vermögen und Leben (vgl. auch Sure 8,72).

 

l Wesentlich ist, dass Dschihad von seinem Wortstamm her weder „Krieg führen“ noch „töten“, also in diesem Sinne nicht „Aggression“ beinhaltet, wie dies dagegen beim Wortstamm q-t-l (Kriegführen, töten)/(qitāl = Schlacht) der Fall ist. Die Zuordnung der Begriffe „eigenes Leben“ und „Vermögen“ in die Inhaltsbestimmung des Wortes lässt keinen Zweifel daran, dass Dschihad die Selbstaufopferung und die Opferung des eigenen Vermögen für Gott meint, was gleichzeitig seine religiöse Komponente ausmacht. Entsprechend wird dieser Begriff im Koran nicht auf konkrete Schlachten bezogen wie dies bei qitāl der Fall ist.

 

l Obwohl qitāl keinesfalls als allgemeine Regel galt, sondern nur auf die Schutzverpflichtung der Umma beschränkt war, gelten für ihn stark einschränkende Regeln:

-         Krieg darf nur gegen Angreifer geführt werden, also ausschließlich zu Verteidigung und Schutz;

-         dabei darf nicht übertrieben werden, zum Beispiel also nicht aus Rache getötet werden;

-         er darf nur für die Sache Gottes geführt werden, also nicht aus materiellen Gründen;

-         er muss sofort beendet werden, wenn sich der Angreifer zurückzieht. (vgl. Sure 2,190-193)

 

l Es widerspricht dem koranischen Wesensgehalt von Dschihad, ihn als „heiligen Krieg“ aufzufassen. Auch qitāl, der Krieg zum Schutz der islamischen Umma, ist kein „Heiliger Krieg“. Krieg ist aus islamischer Sicht nie „heilig“; selbst der Verteidigungskrieg ist ein notwendiges Übel.

 

l Im Gegensatz zur koranischen Intention erhielt der Dschihad in der Zeit nach Muhammads Tod einen anderen Stellenwert: Weltliche Kämpfe und Kriege um wirtschaftliche und politische Macht erhielten eine „religiöse Weihe“, wurden zu einem Dschihad hochstilisiert, vergleichbar den „christlichen“ Kreuzzügen.

 

l Dagegen hat Muhammad im Sinne des Koran einer Überlieferung zufolge zwischen einem „kleinen“ und einem „großen“ Dschihad unterschieden: Während die Opferung von Vermögen und Leben für die Verteidigung als „kleines Dschihad“ bezeichnet wird, gilt der „große Dschihad“  dem Kampf gegen die eigenen Fehler und schlechten Eigenschaften.

 

l Entsprechend dem Begriffsfeld von  Dschihad, das in seiner umfassenden Form jede große Anstrengung für ein gottgefälliges Ziel umfasst, mit einem ähnlichen Spektrum wie das deutsche Wort „Kampf“ („Kampf gegen Analphabetentum“ = moralisch hochstehende Handlung; dagegen – nicht gottgefällig - : „Kampf um die Alleinherrschaft“), unterscheiden heute islamische Autoren mit Vorliebe drei Erscheinungsformen des Dschihad:

  1. persönliche Opfer gegen einen äußeren Feind;
  2. Kampf gegen die eigenen schlechten Neigungen;
  3. Kampf für die Verwirklichung höherer Werte.

 

l In der modernen islamischen Diskussion erfährt Dschihad (in seiner religiös-moralischen Wortfeldbestimmung) sowohl eine Belebung als auch eine neue Interpretation:

  1. Befreiungskampf gegen Kolonialmächte
  2. Kampf gegen ungerechte Herrscher und Systeme, die eine Abhängigkeit von fremden Mächten und Unterdrückung zur Folge haben;
  3. Einsatz für die Erneuerung auf wirtschaftlichem, gesellschaftlichem und kulturellem Gebiet.

 

l Als „Einsatz für eine gottgefällige Tat“ wird Dschihad auch verwendet, um die islamischen Massen zu verschiedenartigen Erneuerungen zu motivieren.

 

 

Unsachgemäß ist:

 

l Dschihad mit „Heiliger Krieg“ zu übersetzen. Diese Wortverbindung ist zwar in der christlichen Kirchengeschichte geläufig, nicht jedoch im Islam. Dieser kennt im Zusammenhang mit Krieg keinen analogen Begriff (weder im Wortfeld von Dschihad, noch von ḥarb oder qitāl) der sprachwissenschaftlich korrekt mit „heilig“ übersetzt werden könnte;

 

l zu unterstellen, dass nach koranischem Verständnis der Dschihad als Mittel zur gewaltsamen Verbreitung des Islam oder zur Bekehrung der „Ungläubigen“ verstanden wird;

 

l der Koran mit einem „Kriegshandbuch“ gleichzusetzen, das angeblich die Ausbreitung des Islam „mit Feuer und Schwert“ verlangt;

 

l wenn heute politisch motivierte Kriege unter dem Deckmantel des Dschihad geführt werden oder solche Kriege als religiös bestimmte Kriege bezeichnet werden. Es entspricht auch nicht dem koranischen Verständnis von Dschihad, wenn sich sogar Terrororganisationen diesen Namen geben. Falsch ist es, solche Aktionen als islamisch legitimierbare Handlungen zu bezeichnen.

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