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letzte Änderung 18.02.2009
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Kurden

Eine Minderheit in der Minderheit

 

Eine Minderheit in der Minderheit – Kurden in Deutschland

 

„Man hat Arbeitskräfte gerufen, und es kamen Menschen“ (Max Frisch). Mit den Menschen kamen auch deren Konflikte ins Land. Beispielhaft wurde dies der deutschen Öffentlichkeit durch den Konflikt zwischen Kurden und Türken vor Augen geführt. Dramatische Ereignisse waren im Juni 1993 die Besetzung des türkischen Generalkonsulats in München, der Anschlag auf 53 türkische Einrichtungen am 4. November 1993, die Autobahnblockaden im März 1994 nach dem Verbot des Newroz-Festes in Augsburg und mehreren anderen Städten und schließlich die Unruhen nach der Verschleppung Öcalans von Kenia in die Türkei im Februar 1999. Seinen Ursprung hat dieser Konflikt in der am 19.10.1923 gegründeten türkischen Republik. Nach der Gründung des neuen Staates ging die türkische nationalistische Elite unter Führung Mustafa Kemals daran, ein einheitliches Staatsvolk zu schaffen. Sie setzte sich zum Ziel, die innerhalb der Staatsgrenzen lebende Bevölkerung kulturell, sprachlich, politisch und gesellschaftlich zu integrieren und zu vereinheitlichen. Kulturell-sprachliche Unterschiede wurden nicht geduldet. Die Kurden wehrten sich gegen diese Homogenisierung. Bei ihnen führte der Anpassungs- und Assimilationsdruck zu einer Verstärkung des Wir-Gefühls und Politisierung des ethnischen Bewusstseins. Die Folge ist der türkischkurdische Konflikt in Ostanatolien.  Die Zahl der Kurden in der Bundesrepublik wird heute auf 580 000 geschätzt, von denen allein 550000 aus der Türkei stammen. Die Kurden, die im Rahmen des Anwerbeabkommens seit 1961 nach Deutschland kamen, hatten oft bereits eine Binnenwanderung in den Westen der Türkei hinter sich (Flucht vor Verfolgung und Elend in Kurdistan oder Zwangsumsiedlung), wo sie meist in den Armenvierteln an der Peripherie der Großstädte lebten. Diese politisch meist inaktiven Menschen hofften auf eine Verbesserung ihrer ökonomischen Situation in Deutschland. Der Anwerbestopp 1973 löste auch bei den Kurden den Familiennachzug aus. Während des Militärregimes seit 1980 kamen Kurden ebenso wie viele Türken als politische Flüchtlinge nach Deutschland. Politische Flüchtlinge kamen auch aus den kurdischen Gebieten im Irak, Persien und Syrien. Deutschland hat verglichen mit anderen westeuropäischen Staaten den größten Anteil von Kurden an der ausländischen Wohnbevölkerung. Die erste Generation der kurdischen Zuwanderer aus der Türkei hatte weitgehend die durch die kemalistische Ideologie zugewiesene Identität als „Bergtürken“ übernommen und bemühte sich zunächst, der als überlegen empfundenen türkischen Kultur zu entsprechen. Im Laufe der Zeit hat sich jedoch unter den Bedingungen der bundesrepublikanischen Gesellschaft aus der türkischen Minderheit eine eigenständige ethnische Minderheit der Kurden herausgelöst. Kurde zu sein, ist für viele in Deutschland geborene junge Kurden eine Quelle des Selbstvertrauens: „Ich bin Kurde und ich bin stolz.“ Durch identitätsstiftende Symbole wie Sticker, Schals, Haarspangen in den Farben der kurdischen Flagge Rot, Gelb, Grün setzen sie sich von den türkischen Jugendlichen ab und machen ihre Identität sichtbar. Als Ausdruck des gemeinsamen kulturellen Erbes gilt das Newrozfest, das am 21. März gefeiert wird. Heute nehmen zehntausende von Kurden daran teil. Eines der wichtigsten politischen Ziele der kurdischen Minderheit in der Bundesrepublik ist die offizielle Anerkennung als Volksgruppe. Viele Kurden sehen in der Tatsache, dass dies bisher nicht geschah, die Fortsetzung der Türkisierungspolitik auf deutschem Boden. Praktisch würde diese Anerkennung u.a. bedeuten: muttersprachlicher Unterricht in allen Bundesländern (bisher nur in Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Bremen), Radiound Fernsehsendungen in kurdischer Sprache, Anerkennung kurdischer Namen durch die deutschen Standesämter. (Kurdische Kinder in der Bundesrepublik dürfen bislang nicht auf kurdische Namen getauft werden.) Ein Indikator der ethnischen Gruppenbildung ist die große Anzahl von kurdischen Organisationen, deren Zahl sich auf schätzungsweise 150 beläuft. „Für das kulturelle Leben der Kurden spielen die Vereine eine besonders wichtige Rolle. Sie organisieren Folkloregruppen, Theater, kurdische Literaturlesungen, stellen kurdische Bibliotheken zusammen, unterrichten die traditionellen kurdischen Musikinstrumente. Viele Kurden lernen hier überhaupt erst ihre Muttersprache ...“. Gegenwärtig gibt es einige Anzeichen, welche Hoffnungen auf eine politische Lösung des türkisch-kurdischen Konflikts in der Türkei aufscheinen lassen. Nach der Verkündigung des Todesurteils über Öcalan am 29.6.1999 hat die Europäische Union die Türkei vor der Hinrichtung Öcalans gewarnt, da die EU die Todesstrafe grundsätzlich ablehne. Damit hat die Gemeinschaft deutlich gemacht, dass für sie die Chancen eines EU-Beitritts der Türkei auch mit einer politischen Lösung des türkisch-kurdischen Konflikts zusammenhängen. Der Begriff „Kurdenfrage“ existiert in der Türkei offiziell nicht. Bislang spricht man von einem „Terroristenproblem“. Die Verschiebung der Entscheidung über das Schicksal Öcalans auf die europäische Ebene weist jedoch auf den Weg einer politischen Lösung hin. Auf eine solche Lösung hoffen auch viele Kurden und Türken in Deutschland. Noch ist aber auch unklar, wie sich das Militär in der Türkei zu dieser Frage verhält.

 

 

 

 

Offizielle Erklärungen

 

Kurde. Name einer Gemeinschaft, die großenteils aus Türken besteht, die ihre Sprache gewechselt haben; die ein verderbtes Persisch spricht und in der Türkei, im Irak und Iran lebt sowie jemand, der zu dieser Gemeinschaft gehört.

 

Türkce Sözlük, Ankara 1966

 

 

Kurdische Sprache. Die kurdische Sprache ist indogermanischen Ursprungs und sprachlich nicht verwandt mit dem Türkischen. Daher ist die Bezeichnung „Bergtürken“, die bis 1990 für die kurdische Bevölkerung in den süd-östlichen Provinzen offiziell gebraucht wurde, irreführend und als Versuch zu bewerten, die ethnische Differenz zwischen Türken und Kurden zu leugnen.

 

Şen, Türkei, S. 146

 

 

 

 

Daten zum türkischkurdischen Konflikt

 

Ende des 19. Jh.

Zeitlich parallel zur türkischen Nationalbewegung entsteht eine kurdische Nationalbewegung. Träger sind vor allem Kurden, die in Istanbul leben.

 

1918

Das Osmanische Reich bricht am Ende des Ersten Weltkriegs auseinander.

 

1920

Friede von Sèvres: Für die Kurden wird eine Autonomie vorgesehen.

 

1923

Vertrag von Lausanne nach erfolgreicher Beendigung des „Befreiungskrieges“ durch Mustafa Kemal: Festlegung der heutigen Grenzen der Türkei. Von einer Autonomie für die Kurden ist keine Rede mehr. Kurdistan wird auf vier Staaten verteilt: Türkei, Irak, Iran, Syrien.

 

29.10.1923

Gründung der Republik Türkei.

 

1923

Beginn einer Assimilierungspolitik gegenüber den Kurden: Kurdische Schulen, Organisationen, Publikationen und der öffentliche Gebrauch der kurdischen Sprache werden verboten.

 

1925-1938

Es kommt zu vier kurdischen Aufständen, die von der Armee niedergeschlagen werden.

 

1978

Abdullah Öcalan gründet die marxistisch ausgerichtete Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). Ziel ist ein unabhängiger Kurdenstaat.

 

1984

Die PKK beginnt den bewaffneten Kampf in Südostanatolien; dort gilt ab 1987 der Ausnahmezustand.

 

26.11.1993

Innenminister Kanther verbietet die PKK und 35 kurdische Organisationen nach gewaltsamen Demonstrationen von Kurden gegen türkische Einrichtungen in Deutschland.

 

1999

Öcalan wird in Kenia gekidnappt und in die Türkei verschleppt.

 

29.6.1999

Öcalan wird zur Hinrichtung durch den Strang verurteilt.

 

August 1999

Die PKK beendet ihren Kampf in Südostanatolien und gibt das Ziel eines unabhängigen Kurdistan auf.

 

Januar 2000

Das türkische Kabinett verschiebt die Entscheidung des Parlaments über das Todesurteil gegen Öcalan, um einen Spruch des Europäischen Gerichtshofs in Straßburg abzuwarten.

 

 

 

Die kurdischen Siedlungsgebiete

 

Die Kurden sind weltweit die größte ethnische Gruppe ohne eigenen Staat. Im kurdischen Siedlungsgebiet verteilen sich schätzungsweise 16 Millionen Kurden auf die Länder Syrien (800.000), Iran (5,4 Mio.), Irak (3,5 Mio.), Türkei (6,2 Mio.). Weitere 7 Mio. leben verstreut in den nichtkurdischen Gebieten der Türkei (5 Mio.), des Irak (ca. 900.000), des Irans (ca. 900.000), Syriens (ca. 200.000). Außerdem leben schätzungsweise 1,4 Mio. Kurden außerhalb dieser vier Länder in der Diaspora: Davon ca. 650.000 in Westeuropa, 350.000 in GUS-Staaten, 300.000 im übrigen

Nahen Osten sowie ca. 100.000 in anderen Staaten. In der Bundesrepublik leben ca. 580.000 Kurden. Davon stammen ca. 550.000 aus der Türkei, 5.000 aus dem Irak, 4.000 aus dem Iran, 4.000 aus Syrien und 15.000 aus dem Libanon. (Da die Kurden statistisch nicht nach ihrer ethnischen Zugehörigkeit, sondern nach ihren Herkunftsländern erfasst werden, können die Angaben über die Anwesenheit von Kurden nur auf Schätzungen beruhen (Falk S. 70 und 179).

 

Sabine Skubsch: Der türkisch-kurdische Konflikt, S. 47

 

 

 

Heimatlos

 

Von Hasret Tuc

 

Ein Ausländer bin ich in Deutschland

Ein Fremder in der Heimat

Die soweit weg ist

Geboren bin ich in Deutschland.

Sehnsucht habe ich nach meiner Heimat

Ich liege wie ein Tourist am Strand

In der Stadt, aus der meine Eltern stammen

Bin doch ein Fremder in der Heimat.

Die Wellen singen meine Sehnsucht

Sonnen und Meer ziehen mich an wie ein Magnet

Meine Heimat, ich kenne sie nur aus den Ferien

Doch keine kann sich mit ihr messen.

In Deutschland nennt man mich Ausländer

In der Türkei, in Italien oder sonstwo

Nennt man mich Deutschländer

So bin ich weder ICH noch ein Deutscher

So bin ich ein Niemand, heimatloser Fremder.

 

 

 

 

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